Die Erforschung von „Lebensstilen und Alltagspraktiken“ ist ein wichtiger Teil des Projekts. Aber was bedeutet das überhaupt? Die Wissenschaftler*innen Melina Stein und Lukas Sattlegger vom ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung erklären, was sich hinter ihrem Forschungsgebiet verbirgt und geben Einblicke in ihre Arbeit.
Im Rahmen des Forschungsprojekts beschäftigt ihr euch mit dem Thema „Lebensstile und Alltagspraktiken“. Könnt Ihr genauer erklären, was damit gemeint ist und warum ist das von Bedeutung ist?
Melina: Unter Lebensstilen verstehen wir die grundlegenden Werte und Einstellungen von Menschen. Unser persönlicher Lebensstil beeinflusst, was uns im Leben wichtig ist und wie wir den Alltag gestalten. Er beeinflusst direkt unser Handeln und damit zum Beispiel, wie wir unsere Freizeit verbringen oder unser Konsumverhalten. Im Projekt untersuchen wir, wie sich Lebensstile darauf auswirken, wie Gärten gestaltet und genutzt werden, einschließlich des Umgangs mit Insekten. Es ist für uns wichtig, zu verstehen, wie Lebensstile mit insektenfreundlichem Gärtnern zusammenhängen, um zu erfahren, warum manche Menschen Insekten in ihren Gärten schützen möchten und andere nicht. Diese Erkenntnisse helfen uns, gezielte Maßnahmen zur Förderung des Insektenschutzes zu entwickeln. Durch das Verständnis solcher Zusammenhänge können wir gezielte Strategien entwickeln, um verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Lebensstilen und Gartenpraktiken anzusprechen und sie für den Insektenschutz zu motivieren oder ihr Engagement weiter zu verstärken.
Lukas: Um dies zu veranschaulichen: Es gibt Menschen, denen es sehr wichtig ist, dass ihr Garten ordentlich und gepflegt aussieht und die Insekten häufig als lästig oder störend empfinden. Dann wiederum gibt es Familien, die ihren Garten nach den Bedürfnissen der Kinder gestalten und auch aktiv zum Insektenschutz beitragen, da ihre Kinder Insekten faszinierend finden und gerne beobachten. Durch das Verständnis solcher hier beispielshaft skizzierten Zusammenhänge können wir gezielte Strategien entwickeln, um Menschen mit unterschiedlichen Lebensstilen und Gartenpraktiken anzusprechen und sie für den Insektenschutz zu motivieren oder ihr Engagement weiter zu verstärken.
Welche größte Herausforderung habt ihr während eurer bisherigen Arbeit für das Forschungsprojekt erlebt?
Melina: Eine große Herausforderung bestand darin, die komplexen Zusammenhänge zwischen Lebensstilen und Alltagspraktiken mit qualitativen Interviews zu erfassen. Wir haben 30 Gärtner*innen in ihren Hausgärten oder Kleingärten besucht und in einstündigen Interviews ihre Gartennutzung und ihre Einstellungen zu Insekten ausführlich erhoben. Unser Ziel war es, eine breite Vielfalt an Interviewpartner*innen zu befragen, die sich in Alter, Einkommen, Bildungshintergrund und Wohngebiet unterscheiden. Wir haben auch versucht, Menschen mit Migrationshintergrund einzubeziehen, um zu untersuchen, wie sich ihre Gartenpraktiken und ihr Umgang mit Insekten unterscheiden. Leider war es schwierig, über unsere üblichen Kanäle Menschen, die selbst nach Deutschland gekommen sind, für Interviews zu gewinnen. Wir konnten allerdings Menschen mit Migrationshintergrund interviewen, die hier geboren wurden, aber deren Eltern aus anderen Ländern stammen.
Welche Zusammenhänge zwischen dem Alltagshandeln der Bürger*innen in Frankfurt und der städtischen Insektenvielfalt habt ihr bisher identifiziert?
Lukas: Viele unserer Interviewpartner*innen zeigen in ihren eigenen Gärten ein starkes Engagement für den Insektenschutz. Das Thema Insektensterben ist präsent und viele Menschen möchten dazu beitragen, Insekten zu schützen. Einen direkten Zusammenhang zwischen der Bereitschaft zum Insektenschutz und der tatsächlichen Insektendiversität konnten wir jedoch noch nicht eindeutig feststellen. Daher warten wir auf die Ergebnisse unserer Projektpartner, die die Böden und Teiche in den Gärten der Interviewten untersucht haben, um die tatsächliche Insektendiversität zu erfassen. Wir haben auch Beschäftigte der Stadt Frankfurt nach ihrem Engagement für den Insektenschutz gefragt. Das zeigt, dass der Insektenschutz nicht nur in der Verantwortung von Bürger*innen liegt, sondern dass auch die Stadt und andere öffentliche Akteure Vorbilder und Unterstützer sein sollten.
Kürzlich habt ihr verschiedene Gärtner*innentypen im Rahmen des Projekts identifiziert. Könnt ihr erläutern, was es damit auf sich hat?
Lukas: Basierend auf unseren Interviews konnten wir fünf unterschiedliche Gärtner*innentypen identifizieren, die sich in ihren Lebensstilen, Einstellungen zu Insekten und Gartenpraktiken unterscheiden. Diese Typisierung zeigt, wie vielfältig die Einstellungen zum Insektenschutz sein können und wie diese die Praxis im eigenen Garten beeinflussen. Zum Beispiel gibt es die "Gartendesigner*innen", die großen Wert auf die ästhetische Gestaltung ihres Gartens legen, wobei der Insektenschutz eher nachrangig ist. Wenn solche Menschen Tipps erhalten, die Ästhetik und Insektenschutz verbinden, z.B. durch die Auswahl von schön blühenden Stauden, können sie möglicherweise für den Insektenschutz motiviert werden. Ein anderer Typus steht für die "Ertragsgärtner*innen", die ihren Garten vor allem für den Anbau von Obst und Gemüse nutzen. Diese Gruppe könnte durch den Anbau von Kräutern und das Bewusstsein für nützliche Wildkräuter zum Insektenschutz motiviert werden, da diese sowohl für Menschen als auch für Insekten von Nutzen sind. Auf der Grundlage dieser Typen können wir zielgruppenspezifische Handlungsempfehlungen entwickeln, um den Insektenschutz im Garten zu fördern.
Wie kommuniziert ihr eure Erkenntnisse, um Verhaltensänderungen anzuregen?
Melina: Wir nutzen vor allem verschiedene Dialogformate, um unsere Ergebnisse und Handlungsempfehlungen zu verbreiten, wie Lukas bereits erwähnt hat. Dazu gehören Ausstellungen, Gartenbörsen, andere Veranstaltungen und der Austausch in Kleingartenvereinen. Auf diese Weise kommen wir mit Gärtner*innen und anderen Interessierten ins Gespräch und teilen Tipps zum Insektenschutz, um mehr Menschen zu motivieren. Wir arbeiten eng mit Partnern wie dem Palmengarten und dem Senckenberg Naturmuseum zusammen, um unsere Botschaft weiter zu verbreiten.
Welche Aufgaben stehen für euch bis Ende November 2024 im Projekt an erster Stelle?
Lukas: Wir befinden uns derzeit in der Auswertungsphase einer standardisierten Befragung von 1.000 Frankfurter Bürger*innen zum Thema Insektenschutz in der Stadt. Dabei wollen wir genauer untersuchen, wie die Bürger*innen zu Insektenschutz stehen, welche Maßnahmen sie selbst ergreifen und wie sie Maßnahmen der Stadt dazu bewerten. Darüber hinaus werden wir weitere Dialogformate mit Gärtner*innen organisieren, um unsere Handlungsempfehlungen zu verbreiten. Schließlich werden wir unsere Ergebnisse mit denen unserer Projektpartner zusammenführen, um ein umfassenderes Bild der Einflussfaktoren auf die Insektendiversität in der Stadt zu erhalten.